Warum abrüsten statt aufrüsten

“Hintergrund für die Steigerung [des Verteidigungshaushaltes] sind die zunehmenden Anforderungen an die Streitkräfte. Ihr Aufgabenspektrum umfasst neben der Landes- und Bündnisverteidigung auch internationale Militäreinsätze sowie einsatzgleiche Verpflichtungen.”

Bundesministerium der Verteidigung

Die Bundesregierungen Deutschlands definieren ihre verteidigungs- und sicherheitspolitischen Ansichten und Programme anhand des Weißbuchs der Bundeswehr. Dieses wird vom Bundesministerium der Verteidigung in Abstimmung mit anderen Ministerien ausgearbeitet und von der Bundesregierung beschlossen. Es ist das wichtigste Grundlagendokument und der wichtigste Leitfaden für politische Entscheidungen deutscher Verteidigungs- und Sicherheitspolitik.

Neben diesen eigenen Vorgaben ist die Bundesrepublik Deutschland militärisch wie politisch in die NATO-Strukturen eingebunden und über die EU zu der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik verpflichtet.

“Die Bundeswehr  beschreitet  seit Jahren konsequent den Weg des Wandels zu einer Armee im Einsatz und verändert sich dabei tiefgreifend.  Der Prozess globaler  Veränderungen  wird anhalten. Deutschland stellt  sich  gemeinsam mit seinen  Partnern  und  Verbündeten  den  Herausforderungen  des  Wandels  und  gestaltet  ihn entsprechend  seiner  Verantwortung  und  seiner  Interessen  mit.“

Weissbuch der Bundeswehr 2006

Von Verteidigungspolitik zu ‘Sicherheitspolitik

Die Leitlinien der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik haben sich seit der Wiedervereinigung Deutschlands stetig verändert. Der Verteidigungsbegriff wurde sukzessive durch einen Sicherheitsbegriff ersetzt. Während „Verteidigung“ als Landesverteidigung zu begreifen ist, wird der Begriff „Sicherheit“ breiter und auch interessengeleiteter gefasst. Die Bundeswehr wird als „Armee im Einsatz“ definiert, die globale, auch wirtschaftliche, Interessen Deutschlands in der Welt sichert und auf unterschiedlichste Bedrohungsszenarien einsatzbereit gemacht wird.

“Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt.”

Verteidigungsminister Peter Struck am 11. März 2004 in einer Regierungserklärung

Ob und inwieweit die deutsche Armee politische und wirtschaftliche Interessen Deutschlands in der Welt vertritt und notfalls militärisch durchsetzt, war Stolperstein für den damaligen Verteidigungsminister Peter Struck sowie für den damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler.

“Meine Einschätzung ist aber, dass wir insgesamt auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen – negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen.”

Bundespräsident Horst Köhler am 22. Mai 2010 im Deutschlandradio auf der Rückreise von einem Besuch deutscher Truppen in Afghanistan

Waren diese „Ausrutscher“ namhafter Politiker noch Anlass für gesellschaftliche Diskurse und politische Konflikte, besteht heute weitestgehend politischer Konsens über die Bundeswehr als ein global einsetzbares Instrument deutscher Interessenwahrung und –durchsetzung. Deutschland nehme Verantwortung wahr in einer komplexen Welt, lautet eine der Argumente mit dem dieser Wandel von Landesverteidigung hin zu einer Armee mit globalen Einsatzzielen begründet wird.

“Prosperität unseres Landes und Wohlstand unserer Bürgerinnen und Bürger hängen auch künftig wesentlich von der ungehinderten Nutzung globaler Informations-, Kommunikations-, Versorgungs-, Transport- und Handelslinien sowie von einer gesicherten Rohstoff- und Energiezufuhr ab. Eine Unterbrechung des Zugangs zu diesen globalen öffentlichen Gütern zu Lande, zur See, in der Luft sowie im Cyber-, Informations- und Weltraum birgt erhebliche Risiken für die Funktionsfähigkeit unseres Staates und den Wohlstand unserer Bevölkerung. […] Angesichts der Vielzahl potenzieller Ursachen und Angriffsziele muss Deutschland mit seinen Verbündeten und Partnern flexibel Elemente seines außen- und sicherheitspolitischen Instrumentariums einsetzen, um Störungen oder Blockaden vorzubeugen oder diese zu beseitigen.”

Weissbuch 2016

Deutsche “Verteidigungs”politik nimmt in immer mehr gesellschaftlichen Bereichen eine “Unsicherheit”, gar eine Bedrohung wahr, auf die (im äußersten) Fall militärisch reagiert werden soll. Dabei unterscheidet sie nicht mehr zwischen Deutschland und der Welt, sondern betrachtet den ganzen Globus unter von Eigeninteressen geleiteten Aspekten. Dadurch werden unterschiedlichste zivile gesellschaftliche Bereiche mit einer militärischen Brille betrachtet und verstärkt militärische Lösungsansätze für gesellschaftliche Konflikte entwickelt und angewendet.

“Verteidigungs”ministerin Ursula von der Leyen sprach Mitte Februar 2019 auf der Münchner Sicherheitskonferenz von Deutschlands und Europas größerer Verantwortung in der Welt, von einem Europa mit dem „nötigen Gewicht“ : „Es geht um ein Europa, das auch militärisch mehr Gewicht in die Waagschale werfen kann“ und darum „das militärische Gewicht auch tatsächlich einzusetzen, wenn es die Umstände erfordern. […] Wir Europäer müssen beides sein – fähig und politisch entschlossen.” Ursula von der Leyen rechtfertigt mehr Militär mit gleichzeitig steigenden Entwicklungshilfen, welche sie als Wiederaufbaumaßnahmen nach Militäreinsätzen formuliert, „in denen Soldaten und Polizistinnen, Lehrer, Ärztinnen, und Juristen zusammen planen und arbeiten“.  Die “Verteidigungs”ministerin beendete ihre Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz mit folgendem Satz: „Wenn Deutschland […] akzeptiert, dass Soldatinnen und Soldaten für Sicherheit und Freiheit kämpfen müssen […] werden unsere Kinder vielleicht sagen: ihr habt eure Zeit gut genutzt.“

Der Fokus der Außenpolitik auf militärische Sicherheit versperrt den Blick auf die Ursachen von Konflikten und Alternativen zu Gewaltanwendung. Würden verstärkt Ursachen von Konflikten bearbeitet würde gewaltsamer Konfliktaustragung vorgebeugt werden. Konfliktprävention ist hier das Schlagwort. Alternativen zu einer gewaltfreien Konfliktaustragung werden in der zivilen Konfliktbearbeitung ausgearbeitet. Viele Konfliktursachen liegen in menschlichem Leid und Not.

Kooperation statt Konfrontation

Die Vereinten Nationen haben 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung definiert, deren Umsetzung unsere Welt zum Besseren transformieren soll. Hierfür könnte die internationale Staatengemeinschaft, auch Deutschland, mehr Geld zur Verfügung stellen. Kollektive Sicherheit, bezieht die Sicherheit meiner „Feinde“ mit ein. Die Vereinten Nationen sind ein solches System. Dieses Konzept sollte wiederbelebt und gestärkt werden. Wir leben in einer Welt, die wir durch den Einsatz einiger weniger Atomwaffen total zerstören können. Brauchen wir deshalb nicht auch mehr Kooperation mit anstatt Konfrontation zwischen Staaten? Und sollten die Atomwaffen, das größte Sicherheitsrisiko der Menschheit nicht überprüfbar und unumkehrbar vernichtet werden?